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Ein Cowgirl muss man sein...

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Jährlich lockt die mittlerweile grösste Techno-Parade der Welt hip und chic zehntausende Menschen in unsere kleine Grossstadt, um sie allesamt von mittags bis morgens mit den besten aller Beats zu verwöhnen. Denn während der Streetparade wird bekanntlich der Tag zur Nacht und die Nacht zum Morgen, und dies Jahr für Jahr für Jahr. Schon satte vierundzwanzig Jahre lang, genau genommen.

Ziemlich klein hatte die Zürcher Streetparade damals, 1992, begonnen, friedlich für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz zu demonstrieren. Für unsereiner heutzutags unvorstellbar klein, denn unsereiner (oder ich jedenfalls) war damals noch nicht ganz Rave-tauglich unterwegs; erst als die Parade heranwuchs, wuchsen auch wir heran um dann – bereits im Grossformat – das erste Mal mitfeiern zu dürfen.

Danach wurde die Streetparade von Jahr zu Jahr grösser, bekannter, angesagter – und unser wunderbares Zürich wurde über Nacht zum Mekka des guten Geschmacks.
Und des Alkohols.
Und der Drogen.
Dies sind jedoch andere Geschichten.
Ich bin nur hier, um meine 24ste mit euch zu teilen.
Und die 24ste war genauso genial wie die 22ste oder auch die 18te.
Denn das Geniale jährlich im gleichen Masse genial zu wiederholen zeugt von Intelligenz. Beständigkeit scheint partout ein Erfolgsrezept der Schweiz.

Guten Geschmack beweist die Zürcher Parade stets mit bekannten DJ-Grössen, genialen Lovemobiles, verrückten Partygängern und noch verrückteren Kostümen (wobei mir dieses Jahr die Kostüme ein bisserl mehr fehlten als in den Vorjahren). Füge man dann noch eine Prise Vermischung aller möglichen Nationalitäten auf kleinstem Raume hinzu, so steht wohl dem Erfolg des jährlichen Events wirklich nichts mehr im Wege.

Eine Million Menschen waren es dieses Jahr. Unsere Quaibrücke verschwand buchstäblich unter den Füssen der jauchzenden Menge.
Bunt war es. Laut war es. Äusserst witzig war es.
Sonnig und rhythmisch. Verrückt, natürlich.
Ganz wunderbar.

Und es war voll.
Und heiss.
Sehr heiss.
Und definitiv sehr voll.
So voll, dass unentwegt Körper aufeinanderprallten.
Schwitzende, nasse Körper.

Wich man einem schwitzenden, nassen Körper erfolgreich aus, prallte man unverzüglich und mit voller Wucht gegen einen anderen schwitzenden, nassen Körper. Und wenn dieser dann noch robuster war als der eigene, schickte der den schwächeren mit Leichtigkeit zum nächsten Aufprall mit einem weiteren schwitzenden, nassen Körper.
Stundenlang spielten die Menschen dieses Spiel.
Die Kleider gaben hierbei keinen Schutz vor der Gefahr solch unappetitlicher Aufpralle, denn die machten alles nur noch schlimmer. Durchnässt, ja sogar triefend, setzten die Kleider, die hartnäckig an diesen ungemütlich stark schwitzenden Körpern klebten, beim Aufprall gleich noch einen drauf und spritzten ihre Nässe zusätzlich in der Gegend herum.

Und wenn man dann mal anhielt, vollkommen entkräftet, angewidert und den Tränen nahe, um sich ein wenig zu sammeln bevor man sich wieder mutig in die tobende Menge stürtzte, wurde man erst noch unwürdig malträtiert von einer Schlange hochmotivierter, robuster Tänzer, die sich ihren Weg ohne Rücksicht auf Verlust durch die Menge bahnten, um noch näher an der Musik und dem Geschehen zu sein. Was unweigerlich dazu führte, dass man von jedem einzelnen in dieser Schlange noch zusätzlich einen lockeren Hieb kriegte, gefolgt von noch mehr schwitzender Nässe.

Erstaunlich jedoch war der Fakt – und ich habe mich während der Parade stundenlang damit befasst -, dass mit dem Schwitzen nur selten ein Stinken zu Nase stieg.
Ausser natürlich das Stinken aus dem Mund.
Biergestank.
Noch und nöcher.
Aber auch dies ist wiederum eine andere Geschichte.
Genauso wie die mit den leeren Bierflaschen, die millionenfach rücksichtslos auf den Boden des Geschehens geschmettert wurden.
Damit sich eben möglichst viele Partygänger verletzten.

Meine Wenigkeit jedenfalls wanderte pausenlos durch die Menge, nach Inspiration suchend, nach peinlichen Begegnungen suchend, suchend nach dem ultimativen Kostüm. Da war vieles unterwegs, viel ganz ganz tolles. Da verblüffte es doch sehr, dass mein rötlich-orange-leuchtender Cowgirlhut erstaunlich viele Punkte bei den hippen Tanzvölkern sammelte. Denn kaum jemand konnte sich beherrschen, meinen Hut nicht anzufassen. Was mir nachvollziebarerweise ganze drei Nächte lang Alpträume bescherte, die allesamt von überdimensional grossen, triefenden Händen handelten, welche sich ausschliesslich für meinen Kopf interessierten.
Jedenfalls war mein Kostüm – der Hut also – ein Hit und konnte durchaus ein bisserl Country Flair in die hippste Techno-Parade der Welt zaubern.

Aber das Schönste an der Streetparade – auch an der lustigen 24sten – war wiederum die Message dahinter, welche abermals erfolgreich an den Mann gebracht wurde: Während wir hier feiern fallen Bomben minutenweise an anderen Orten, verhungern Kinder sekundenweise in anderen Ländern, sterben unzählige Menschen einen einsamen Tod. Ein Tanzfest also für mehr Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und – mehr Toleranz.

© romina bogdanovic / lottileibnitz.com

Grosse Umarmung,
Herzlichst,
Eure Lotti ❤
...oder Techno, die 24ste.
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